Seit vielen Wochen ist die Welt im Bann der Coronapandemie. Ich habe mich gefragt, wie es wohl ist heute Kind zu sein und habe deswegen mein früheres Ich zum Gespräch eingeladen. Mit überraschenden Ergebnis.
Ich, 39: Ich freue mich heute mich als Interviewpartner zu haben. Man kann hier von einem bahnbrechenden und einmaligen Ereigniss sprechen. Durch die aktuelle Weltlage war es mir ein Bedürfnis mein inneres Kind rauszukramen um die Coronakrise aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Ich, 9: Na vielen Dank, dass du mir auch mal wieder zuhörst. Muss wohl erst die Hütte brennen, damit ich wieder relevant bin was?!?
Ich, 39: Entschuldigung, ich war mal wieder mit dem üblichen Erwachsenenkram belastet, aber nun bin ich ganz Ohr. Du bist seit 3 Jahren ein Schulkind. Inwiefern hat sich dein Leben verändert?
Ich, 9: Ich habe vor allem gelernt, dass das Leben todernst ist. Wir Kinder müssen zuerst was werden, weil wir wohl nicht voll funktionsfähig auf die Welt gekommen sind. Dafür müssen wir viele Jahre die Schulbank drücken und die Lehrer füttern uns mit einer Menge wichtiger Informationen die man denn auswendig lernen muss. Komische Geschichte das Ganze. Ich muss mich wohl geirrt haben, als ich mich hier auf die Erde hab plumsen lassen um das Leben zu genießen, voller Vertrauen, dass ich hier einen Platz bekomme ohne wenn und aber. Stattdessen muss ich mich mit Fragen wie "Was willst du denn mal werden?" oder Diagnosen wie "So wie du bist, wirst du es später sehr schwer haben in Leben" rumschlagen.
Ich, 39: Ja leicht haben wir es tatsächlich nicht immer. Wir sind aber auch stur und beratungsresistent! Hast du denn trotzdem ein Lieblingsfach?
Ich, 9: Ja der Kunstunterricht bei Frau Peschke. Sie ist glaub ich auch die einzige Lehrerin wo ich nicht das Gefühl habe ein kaputtes, reperaturbedürftiges Ding zu sein. Sie sagt auch, ich könnte später mal einen künstlerischen Beruf ausüben. Aber da muss ich wohl studieren und brauch auch in den anderen Fächern die richtigen Noten. Könnte schwer werden. Dieses Schulding ist wohl nicht das richtige für mich. Ich träume lieber, schau aus den Fenster und merken kann ich mir auch nur das was mich wirklich interessiert.
Ich, 39: Ja schau diese eine Kunstlehrerin hat dich schon als ganzer Mensch gesehen und dadurch gleich ins schwarze getroffen beim Thema Berufswahl. Da könnte sich der eine oder andere Pädagoge mal ne Scheibe abschneiden. Wie schaut es denn mit den Mitschülern aus? Hast du viele Freunde?
Ich, 9: Ne eher nicht. Zwei, drei Kinder sind ganz nett. Aber eine beste Freundin habe ich schon. Wir werden immer gemobbt, weil wir Brillen tragen und deswegen hässlich sind. Nett behandelt wird man also nur wenn man perfekt ist. Schwächen sind etwas für was man sich schämen muss. Außerdem sind die alle immer so laut und manche Jungs werden auch ganz schnell aggressiv. Ich kann mit dieser Art nichts anfangen. Mir ist auch jeden Morgen schlecht. Manchmal muss ich auch brechen. Das auszuhalten gehört wohl auch zum Ernst des Lebens dazu.
Ich, 39: Ja stimmt, unser Magen ist schon sehr empfindlich. Du hast beschlossen, jetzt wo du schon mal da bist, einen Blick auf die Kindheit 2020 zu werfen. Zur Zeit ist ja der Ernst noch ernster als sonst. Durch die Coronakrise haben wir zusätlich noch eine neue Normalität serviert bekommen. Wie war es in der Schule die du besucht hast?
Ich, 9: Schlimmer geht immer! Auf den Weg dorthin muss man so ein Mundschutz tragen. Das gleiche gilt für den Schulhof und im Gang. Das ist komisch, dadurch weiß ich garnicht wer die Kinder sind, die ich neu kennengelernt habe. Da fehlt ja die Hälfte vom Gesicht. Auf den Weg zum Klassenzimmer muss ich einer Linie folgen. Wichtig ist auch einen Abstand von 1,50 m zu halten. Wie soll ich das denn einschätzen ohne Lineal? Ich habe die ganze Zeit Angst, dass ich etwas falsch mache, weil denn bin ich vielleicht Schuld wenn wieder ganz viele Menschen krank werden. Also bin ich nicht nur kaputt und muss erst noch was werden, sondern ich bin eine Gefahr für andere. Also muss ich mich noch kleiner machen, als ich eh schon bin. Wenn ich auf meinen Platz im Klassenzimmer angekommen bin, kann ich die Maske wieder runternehmen, weil dort die Viren nicht mehr so reiselustig sind und bei mir bleiben. Ganz schön clever diese Dinger.
Ich 39: Wenn du die Kinder heute mit den Mitschülern von damals vergleichst, was fällt dir auf?
Ich, 9: Still ist es geworden in der Schule und schubsen tut mich auch keiner mehr, weil die Arme kürzer sind als der verordnete Mindestabstand. Aber richtig freuen kann ich mich darüber nicht, weil auch das Lachen fehlt.
Ich 39: Was hast du durch diese Erfahrung gelernt?
Ich, 9: Das mit den auswendiglernen von Zahlen, Buchstaben und ganz vielen anderen Erwachsenensachen ist gleich geblieben. Nach wie vor müssen auch die Zukunfstkinder erst noch etwas werden. Aber zusätzlich bedeutet Kind zu sein im Jahr 2020 auch eine Gefahr zu sein. Ohne uns wäre wohl die Welt ein wenig sicherer. Vor allem ältere Leute müssten denn nicht so schnell sterben. Ich gehe lieber wieder zurück in den alten Wahnsinn. Da kann ich wenigstens meine Oma und meinen Opa besuchen und sie umarmen. Da darf ich auch auf den Feld rumtoben, mit in den Schweinestall gehen, mir vom Hund das Gesicht abschlecken lassen und das mit dem Händewaschen nimmt dort auch keiner so genau. Ganz schön riskant, wie wir damals so gelebt haben. Wir waren richtige Glückspilze, weil niemand ist deswegen todkrank geworden. Vielleicht haben da die vielen Viren und Bakterien noch Winterschlaf gehalten?! Aber was weiß ich schon. Ich bin doch ein unfertiges Menschlein.
Ich, 39: Vielen Dank für dieses Gespräch. Ich weiß du hast es eilig, aber könntest du kurz 10 Minuten warten? Ich geh nur eben schnell meine Reisetasche packen und denn kann ich dich in die Vergangenheit begleiten. Bloß schnell weg hier!
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